Nur noch wenigen Tage, dann soll am 15. April endgültig Schluss sein mit der Atomkraft in Deutschland. Der Preis dafür ist hoch, denn an manchen Tagen war die Atomkraft zur Sicherung der Stromversorgung unverzichtbar. Als Ersatz werden dann wieder vermehrt Kohlekraftwerke eingesetzt, welche wiederum für einen hohen CO₂-Ausstoß haben (Focus: 23.0323).
Deutschlands Stromnetz am Limit: Diskussion um Weiterbetrieb von Atomkraftwerken
Zum Beispiel fiel der Beitrag von Wind- und Sonnenenergie zur Stromerzeugung am 16. Dezember auf unter zwei Gigawatt (GW), während die Stromnachfrage zwischen 60 und 70 GW schwankte. Als Folge mussten Kohlekraftwerke schnell hochgefahren werden und das Ausland musste aushelfen. Der Großteil der fehlenden erneuerbaren Energie wurde von Gaskraftwerken mit 19 GW abgedeckt, obwohl dies im Widerspruch zu allen Bemühungen zur Energieeinsparung steht. Immerhin liefern Atomkraftwerke Strom kontinuierlich, zuverlässig und ohne CO₂-Emissionen.
In solchen Momenten scheint es keineswegs absurd, darüber zu diskutieren, ob die verbliebenen drei Atomkraftwerke in Deutschland weiterbetrieben werden sollten oder nicht. Der Bundestag hatte einen klaren Beschluss einen Monat vor dem 16. Dezember gefasst: das Atomgesetz wurde geändert, um den Betrieb der drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke – Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland – bis zum 15. April zu erlauben. Diese Gnadenfrist, die eigentlich zum Ende des Jahres ablaufen sollte, wird im Behördenjargon als „befristeter Streckbetrieb“ bezeichnet.
Kohle als wichtigster Energieträger: Das Comeback der Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke in Deutschland
Um den Betrieb der Gaskraftwerke zu reduzieren und das Abschalten der Atomkraftwerke zu ermöglichen, traf die Ampelregierung im Oktober letzten Jahres eine weitere Entscheidung. Vor einem halben Jahr beschloss sie, insgesamt zwölf Kohlekraftwerke aus der strategischen Reserve dem deutschen Stromnetz zuzuschalten. Diese Kraftwerke sollen dauerhaft produzieren, nicht nur an kritischen Tagen wie am 16. Dezember, da Atomkraft und zunehmend auch Gas als Energiequellen wegfallen. Das Comeback der Steinkohlekraftwerke ist derzeit bis Ende März 2024 geplant, während die Rückkehr der Braunkohle vorerst bis zum 30. Juni 2023 befristet sein soll.
Das Statistische Bundesamt gibt bekannt, dass Kohle im vergangenen Jahr bereits der wichtigste Energieträger für die Stromproduktion in Deutschland war. Genau ein Drittel (33,3 Prozent) des hierzulande erzeugten und ins Netz eingespeisten Stroms stammte aus Kohlekraftwerken, was einem Anstieg von 8,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht.
In diesem Jahr wird die Produktion aufgrund des Wegfalls von Atomstrom voraussichtlich noch deutlicher ansteigen. Kohlekraftwerke sind die Hauptverursacher von Umweltschäden in Deutschland. Wenn, wie derzeit, ein Drittel des deutschen Stroms aus Kohle stammt, werden dabei Kohlenstoffdioxid-Emissionen von rund 270 Millionen Tonnen freigesetzt, was etwa 30 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen entspricht.
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Anstieg der CO₂-Emissionen durch vermehrte Nutzung von Kohlekraftwerken erwartet
Mirko Schlossarczyk, Unternehmensberater bei Enervis Energy Advisors in Berlin, erwartet einen Anstieg der CO₂-Emissionen um 30 bis 40 Millionen Tonnen in diesem Jahr aufgrund der vermehrten Nutzung von Kohlekraftwerken. Auch Agora Energiewende, ein regierungsnaher Thinktank, muss zugeben, dass Deutschland im vergangenen Jahr seine CO₂-Reduktionsziele trotz des sinkenden Energieverbrauchs verfehlt hat. Ein Hauptgrund dafür ist der gesteigerte Einsatz von Kohlekraftwerken, so die Organisation. Nun wird die Situation sogar schlimmer, anstatt besser.
Die Grünen und Umweltverbände sind gegen die wahrscheinlich schmutzigste Form der Energieversorgung. Die heftigen Proteste im Braunkohletagebau Lützerath in Nordrhein-Westfalen Anfang des Jahres sind ein Beispiel dafür: Umweltaktivisten haben sich an Bäume gekettet und festgeklebt, um gegen den Tagebau zu protestieren. Allerdings sind es manchmal dieselben Aktivisten, die auf der anderen Seite die begrenzten Laufzeiten der Atomkraftwerke auf keinen Fall infrage stellen wollen.
CSU kritisiert Grüne wegen Doppelmoral in der Energiepolitik
CSU-Generalsekretär Martin Huber kritisiert die Grünen wegen ihrer vermeintlichen Doppelmoral in Sachen Klimaschutz. Er äußert in einer Talkrunde seine Besorgnis darüber, dass die Grünen lieber Kohle fördern würden, als die Laufzeit der Atomkraftwerke zu verlängern. Huber betont, dass es notwendig sei, die drei verbleibenden Atomkraftwerke auch über den kommenden Winter 2023/24 hinaus am Netz zu lassen, um die derzeitige Energiekrise zu bewältigen.
Die CSU findet Unterstützung bei ihrem kleinsten Koalitionspartner in der Ampelregierung, der FDP. Der Parteivorsitzende Christian Lindner hat kürzlich betont, dass er weiterhin der Überzeugung ist, „dass wir in Krisenzeiten übergangsweise Kernenergie weiter nutzen sollten“. Andernfalls würde sich Deutschlands CO₂-Bilanz durch mehr Kohlestrom verschlechtern. Die FDP hatte vorgeschlagen, eine Expertenkommission zur Zukunft der Kernkraftwerke einzurichten, um in dieser Angelegenheit voranzukommen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, ein Grünen-Politiker, antwortete jedoch knapp und klar mit „Nein“.
Für die Grünen war der Weiterbetrieb bis zum 15. April bereits eine politische Zumutung. Mehr sind sie nicht bereit zu akzeptieren. Ein endgültiges Aus für die Atomkraft hat für die Partei einen hohen Stellenwert. Der 16. Dezember zeigt jedoch, dass es jenseits der Kämpfe um energiepolitische Symbole eine andere Dimension gibt: Ist das Stromnetz auch ohne die drei Atomkraftwerke wirklich schon heute stabil genug? In dieser Frage gibt es zumindest unterschiedliche Meinungen von Experten, aber keine Sicherheit.
Deutschland muss neue Atomkraftwerke in der EU mitfinanzieren
Im Rahmen des Green Deal subventioniert Brüssel die Atomtechnologie als eine saubere Technologie, und obwohl Deutschland einen anderen Kurs fährt, finanziert auch Berlin dort kräftig mit. Daher fordern einige Mitglieder der FDP eine neue Debatte. Mit dem Streit über das Verbrennerverbot und E-Fuels in Erinnerung, deutet sich der nächste europapolitische Konflikt in der Ampel-Koalition an. Dieses Mal dreht sich alles um EU-Subventionen für Atomkraft, die Deutschland mitfinanzieren muss (Welt: 25.03.23).
Die Hauptstadt hat gewählt und das Ergebnis ist deutlich. Etwa 600.000 Stimmen hätte der Klima-Volksentscheid benötigt, 25 Prozent aller Stimmberechtigten. Das wurde nicht nur verfehlt, sondern dem stand sogar eine fast gleich hohe Anzahl an „Nein“-Stimmen entgegen.
Viele Anhänger der unrealistischen Forderung, Berlin müsse schon 2030 klimaneutral sein, lassen ihrem Frust in den sozialen Netzwerken nun freien Lauf. Die JF sammelt einige der krassesten Beispiele.
Erst zustimmen, dann um Details kümmern
Völlig fassungslos über das demokratische Ergebnis zeigt sich etwa der linke Drehbuchautor Mario Sixtus:
Leute, die zu einem Klima-Volksentscheid gehen, um "nein" zu stimmen, fahren mit ihrem SUV auch lachend quer über den Spielplatz.
#berlin2030— Mario Sixtus 🇭🇰馬六 (@sixtus) March 26, 2023
Geht es nach Sixtus, darf es künftig nur noch mit der Brechstange gehen:
"Kein Klimaschutz mit der Brechstange" sagen die, die gar keinen Klimaschutz wollen, denn sie haben exakt null Komma null Konzepte für wirksamen Klimaschutz ohne Brechstange.
— Mario Sixtus 🇭🇰馬六 (@sixtus) March 26, 2023
Erst zustimmen und sich dann erst um die Details kümmern, hält etwa Raul Krauthausen für eine gute Idee:
Wetterfrosch im Ausnahmezustand
Der GEZ-Wetterjournalist Özden Terli glaubt, daß die Stadt ihre gerechte Strafe empfangen wird:
Berliner Volksentscheid zum Thema #Klimaneutral bis 2030:
Wie kann man denn da "Nein" stimmen?
Ich meine, selbst wenn 2030 unrealistisch ist oder Details noch ungeklärt sind, ist "Nein" doch keine Lösung.
Warum nicht "Ja" und dann um die "Abers" kümmern? https://t.co/TtUmnZ8EXr— Raul Krauthausen (@raulde) March 26, 2023
Dieser Account weiß ganz genau, was die Wähler in Wirklichkeit vorhaben:
Wer mit „nein“ gestimmt hat, hat mit „ja“ zu Extremwettern jeglicher Art zugestimmt.
Bitte, dann nicht beschweren wenn es übel wird.
Glückwunsch ganz toll 👏 gaaaaanz toll gemacht!#Klimakatastrophe #berlin2030klimaneutral
— Özden Terli (@TerliWetter) March 26, 2023
Schlechtes Klima bei den Unterstützern
Natürlich darf auch Luisa Neubauer nicht fehlen. Schuld an der Niederlage seien „fossile Zyniker“ und „Klimazerstörer“.
Georg Restle, Vorturner der dauerempörten GEZ-Journalisten, stört sich schon an der Freude, daß ein unrealistischer Vorschlag von den Bürgern nicht akzeptiert wird:
L. Neubauer zeigt deutlich, wie ihr Verständnis von Demokratie aussieht. Sie beleidigt die Nein-Wähler als „fossile Zyniker“ & „Klimazerstörer“.
Ein Glück ist der Volksentscheid gescheitert. Man möchte nicht wissen, was solche Personen machen, wenn sie noch mehr Macht hätten. pic.twitter.com/nbsQpjR1i6
— Manaf Hassan (@manaf12hassan) March 26, 2023